Ulrike Meinhof - die erste Feministin? - Lesung mit Anja Röhl im Frauenzentrum Begine (Berlin)

16.06.2013 16:32

Am 13. Juni 2013 las Anja Röhl im Frauenzentrum Begine aus ihrem neu erschienenen Buch „Die Frau meines Vaters".

Hauptanliegen ihres Buches, so Anja Röhl, sei dem negativen Bild von Ulrike Meinhof als kaltblütige Terroristin und gefühlskalte Mutter, welches in den letzten Jahren ihres Lebens und bis heute von den Medien und auch nahe stehenden Personen gezeichnet wurde, ihr eigenes positives Bild von Ulrike Meinhof entgegen zu setzen. Diesem Vorhaben nähert sie sich mit dem Ansatz der vorbehaltlosen Subjektivität, indem sie ihre Kindheits- und Jugenderinnerungen an Ulrike bis zu deren Tod in Haft niederschrieb und sich jeglicher politischer Bewertung Ulrike Meinhofs und ihrem Wirken innerhalb der RAF enthielt.

Anja Röhl schreibt klar, beschreibend und an den erlebten bzw. erinnerten Fakten orientiert. Sie liest die Passagen ihrer Kindheit, die Strafen, die Angst und ihre Einsamkeit, emotional berührend, ohne selbst emotional von ihren eigenen schlimmen frühen Erlebnissen überwältigt zu werden. Zur Herstellung dieser Distanz hilft wohl, dass sie nicht in der Ich-Form schreibt, sondern sich selbst immer nur als „das Kind“, „das Mädchen“ oder „die junge Frau“ einbringt.

In dieser Zeit war Ulrike Meinhof, die zweite Frau ihres Vaters Klaus Rainer Röhl, die einzige Schutz und Liebe bietende Erwachsene für „das Kind“. Sie tat das, was heute in der Erziehung von Kindern allgemein anerkannt ist: Zuneigung und Zugewandtheit bieten, Verzicht auf Gewalt und demütigende Strafen und Einfühlen in die Bedürfnisse des Kindes. In den 50er und 60er Jahren des 20. Jh. galt dies noch als revolutionär, ebenso die Berufstätigkeit der Frau als Berufung, was Anja Röhl zu der Bemerkung verleitete, Ulrike Meinhof sei eine „erste Feministin“ gewesen.

Demgegenüber stand die autoritäre Erziehung ihrer Eltern. Die Schilderungen Anja Röhls boten eine aufschlussreiche Psychologie über die Folgen der Naziherrschaft für die in dieser Zeit aufgewachsenen Kinder. Vater und Mutter (*1928/29) bekamen im Laufe der 30er Jahre die gesamte Palette der menschenverachtenden Ideologie und Züchtigung zu spüren, in der Schule ebenso wie im Elternhaus. Und auch wenn die harte Erziehung des Vaters Röhl keine Entschuldigung für seine eigenen Verfehlungen gegenüber seinen Töchtern ist, so ist darin zumindest eine Erklärung zu finden. Ulrike Meinhof dagegen (*1934), aufgewachsen in einem liberalen und NS-kritischen Elternhaus, blieb von der Ideologisierung der 30er Jahre weitgehend verschont.

Überraschenderweise drehte sich die Diskussion im Anschluss an die Buchvorstellung Anja Röhls dann doch wieder um die politische Figur Ulrike Meinhof. War sie eine Mörderin? Wer hatte wirklich geschossen? Warum hat sie die Sache durchgezogen, anstatt wenigstens ihrer Töchter willen mit den Behörden zu kooperieren? Was ist in ihrem Leben passiert, dass sie so radikal geworden ist? War es wirklich Selbstmord oder wurde sie in der Isolationshaft hingerichtet? Hätten die 68er mehr erreicht, wenn sie gewaltlos geblieben wären?

Wie so oft trat die Person Ulrike Meinhof in den Vordergrund, die Autorin Anja Röhl in den Hintergrund. Dabei spürte ich bei vielen Teilnehmer*innen der Lesung unter der aufgebrochenen politischen Debatte ein unausgesprochenes Bedürfnis, eigene biografische Erfahrungen der Kindheit und aus den Nachkriegsjahrzehnten zur Sprache zu bringen. Es ist schade, dass es dazu nicht mehr kam.

Doreen Heide, FEMBooks


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