Rezension zu: Dagmar Fink, Birge Krondorfer, Sabine Prokop, Claudia Brunner (Hrsg.): Prekarität und Freiheit. Feministische Wissenschaft, Kulturkritik und Selbstorganisation

10.07.2013 20:43

Inwieweit verunmöglicht Prekarität bzw. das Bestreben nach Vermeidung dieser das Ausleben von Freiheit und feministisches Arbeiten und Aktivsein? Inwieweit führt das Bedürfnis nach Freiheit in prekäre Verhältnisse, und ist die Prekarisierung nicht vielleicht sogar notwendige Bedingung für freies und kreatives Arbeiten? Und welche Freiheit ist unter Bedingungen von existenzieller Unsicherheit überhaupt möglich?

Diesen und vielen weiteren Fragen nähert sich ein Buchprojekt freier feministischer Wissenschaftlerinnen in Österreich – Wissenschaftlerinnen also, die selbst mehr oder weniger prekäre Beschäftigungsformen leben. Auch das Buchprojekt „Prekarität und Freiheit“ selbst hatte mit mangelnder Förderung zu kämpfen und war getragen - wie so oft - von ehrenamtlicher, unbezahlter Arbeit.

Der Verband feministischer Wissenschaftlerinnen (VfW) wird im letzten Kapitel des Buches mit dem schönen Titel „Eine prekäre freie Geschichte“ von Claudia Brunner genauer vorgestellt. Darin wird deutlich, dass das prekäre und freie Arbeiten den Verband schon seit einigen Jahren beschäftigt und bereits mehrere Veranstaltungen dazu organisiert worden sind.

In den Beiträgen selbst wird an mehreren Stellen hervorgehoben, dass Prekarität kein Phänomen des 21. Jahrhunderts ist. ‚Normale’ und gesicherte Arbeitsverhältnisse waren stets allein das Privileg des weißen, bürgerlichen Mannes. Im Hintergrund und nicht sichtbar gab es immer schon die un/minderbezahlte prekäre Arbeit von Frauen, Tagelöhner*innen und Nichtstaatsbürger*innen. Das Prekariat war somit selbstverständlicher Bestandteil des feudalen und kapitalistischen Wirtschaftens und kam erst als solches zur Diskussion, seitdem auch weiße, westliche und gebildete Mittelschichtarbeiter*innen mit zunehmend unsicher werdenden Lohnarbeitsverhältnissen konfrontiert sind.

Dass dieser Wechsel in prekäre Arbeitsformen oft einer freien Entscheidung entspringt, wird ebenfalls in mehreren Beiträgen zum Ausdruck gebracht. Künstlerische Tätigkeiten waren in gewisser Weise immer schon prekär, wurden aber in den 80er Jahren zusammen mit anderen Formen ungebundener selbständiger Arbeit noch als Ausdruck erstrebenswerter Freiheit und „Lebenskunst“ romantisiert.

Die Anziehungskraft freier und ungebundener Arbeit blieb bestehen und verstärkte sich durch die immer schlechter werdenden Bedingungen der Festanstellung. Eine wachsende Masse neuer Selbständiger unternimmt so den Versuch, dieser eine Alternative guter Arbeit entgegen zu setzen - und muss daran scheitern, solange die prekär und frei Arbeitenden nicht aus ihrer Individualisierung heraus treten und die Politik die sozialen Sicherungssysteme für diese neuen Unternehmer*innen nicht reformiert.

Der Neoliberalismus antwortet darauf mit dem Konzept der Work-Life-Balance und erhält damit die Illusion aufrecht, dass Vereinbarkeit von Beruflichem und Privatem machbar ist. Der Begriff des Unternehmers suggeriert dabei, dass die Betroffenen für ihre schlechte Lage selbst verantwortlich sind und nur genügend an sich selbst arbeiten müssen, um die Work-Life-Balance erreichen zu können. Im selben Zuge wurde die Mutter und Hausfrau zur Familien- und Selbstmanagerin umgedeutet, ohne dass dies wirklich zur Entlastung von Pflichten geführt hätte. Ein Grund liegt darin, dass die Verbesserung der Work-Life-Balance über den Zukauf von Reproduktionsleistungen (Putzhilfen, Kinderbetreuung etc.) nur für einkommensstarke Haushalte funktioniert. Für alle anderen bleibt die nicht enden wollende Arbeit auf dem Markt, an anderen und an sich selbst.

Überhaupt werden in den gegenwärtigen Prekaritätsdiskursen gern jene vergessen, die immer schon am Rand oder außerhalb der Grenzen von Gesellschaft standen: Migrant*innen, die Tag und Nacht grundlegende Reproduktionsdienste für weiße Mittelschichtler*innen erbringen. Um diesem Vergessen vorzubeugen, wird der Beitrag „Prekarität, Care-Krise, transnationale Arrangements und die Rolle von Migrant_innen“ von Luzenir Caixeta richtigerweise gleich an zweiter Stelle des Bandes platziert, so dass frau/man dies beim Lesen des Buches immer schön im Hinterkopf behält. Wichtig dabei hervorzuheben, dass Migrationspolitiken stets Pilotprojekte der Prekarisierung sind und Arbeitsbedingungen der Nichtsstaatsbürger*innen morgen vielleicht schon für alle zutreffend.

Ein empfehlenswerter Beitrag „Zwischenhin Prekaritäten feministischer Wissenschaftlichkeit in Österreich“ von Katharina Prinzenstein beschäftigt sich mit der Prekarität feministisch wissenschaftlichen Arbeitens schlechthin. Demnach ist die feministische Text-Produktion gleich mehrfach belastet. Auf der einen Seite die „zeitgedrängte Output-Logik“ der neoliberal zugerichteten Hochschule, die keine Zeit mehr für qualitative Denkarbeit lässt. Hinzu kommt die „theorieverknüpfte Doppel- und Mehrfachbelastung“ der feministischen Wissenschaftlerin: „Als Menschen, die irritieren, sind Feministinnen jederzeit zu vielfältigen Mehrleistungen gefordert, um neben und innerhalb der gegebenen Strukturen tätig und auch erwerbsfähig bleiben zu können.(S.122) Zusammen mit dem fehlenden Markt für feministische Tätigkeiten bei gleichzeitigen Überangebot dieser kommt Prinzenstein zu dem Schluss, dass feministisch wissenschaftliches Arbeiten eigentlich kaum noch lebbar ist.

Prinzenstein stellt im Anschluss die Frage, wo das feministische Wir noch zu finden ist, wenn einige ihren einigermaßen sicheren Platz im System finden konnten, andere dagegen nicht. Und wieder sollten diejenigen nicht vergessen werden, die weitaus prekäreren Zuständen ausgesetzt sind und die noch nicht mal die Möglichkeit haben, etwas zu versuchen, um daran zu scheitern. Denn auch die Prekarität einer weißen, gebildeten feministischen Wissenschaftlerin erfordert gewisse Voraussetzungen, etwa den Zugang zu Arbeitslosengeldsystemen, welcher Nicht-Staatsbürger*innen verwehrt ist.

Der Band versammelt weitere Beiträge zu Prekarität, Arbeit, Freiheit, Kunst und Wissenschaft, wobei meist einzelne dieser Begriffe heraus gegriffen und aus verschiedensten fachlichen Perspektiven analysiert und in Beziehung zu einem anderen Begriff gesetzt werden.
Trotz der sehr umfassenden Behandlung der Themensetzung aus unterschiedlichen disziplinären Sichtpunkten lässt „Prekarität und Freiheit“ eine inhaltliche Leerstelle dort, wo die Konzepte zu Freiheit und Prekarität nur aus Perspektive des alleinstehenden, erwachsenen, alleinverantwortlichen Subjekts verhandelt werden. Die Überlegungen zu Prekarität und Freiheit werden in Abwesenheit notwendiger Verantwortungsübernahme für andere verfasst. Das eigene Begehren steht im Vordergrund, dem gefolgt werden sollte, auch wenn dieser Weg in die Prekarität führt. Außer in dem Beitrag „Zwischen Inspiration und Transpiration. Nachrichten aus der freien, kreativen, wissenschaftlichen Existenz“ von Sabine Prokopp wird die Existenz von eigenen Kindern oder anderen pflege- und unterstützungsbedürftige Personen in den Beiträgen der Wissenschaftlerinnen nirgends erwähnt und fließt scheinbar nicht in die theoretischen Betrachtungen zu Prekarität und Freiheit ein.
Wünschenswert wäre zudem eine stärkere Bezugnahme der Beiträge aufeinander oder ein gewisser roter Faden durch das Buch gewesen. Stattdessen verbleiben die Beiträge so isoliert wie die Vereinzelung der prekären Selbstunternehmer*innen, die an mehreren Stellen im Buch beklagt wird.

Der Versuch, im letzten Teil des Buches eine Perspektive des Zusammenschlusses von Frauen zu eröffnen, wird in dem Beitrag „Kollektiv zwischen Schöpfung und Erschöpfung. Frauen gemeinsam sind stark, aber was stärkt Frauen“ von Miriam Wischer analytisch mit der Erschöpfung, ja Depression der Frauen, eingeleitet. Die Unsicherheit der Frauen erscheint darin als „ein Faß ohne Boden, in das schon Unmengen Ermutigung geschüttet wurden (S. 232).
Auch die folgenden zwei Beiträge „Praktiken der Selbstorganisation. Losdemokratie, Rotationsprinzip und Sorgearbeit“ von Utta Isop und „Frühlingserwachen im ‚Hinterland der Revolution’? Prekarität, Multitude und die Darstellung des Widerstandes von Frauen im Kontext der arabischen Revolution“ von Barbara Eder bieten keinen Ausweg aus der nicht enden wollenden Prekarität feministischen Arbeitens.

Doreen Heide, FEMBooks

 


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